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Der Abschied von der Pluralität des Chemnitzer Jugendhilfeausschusses

Der allgemeine Rechtsruck während der Kommunalwahlen Ende Mai zeigt in Chemnitz hin-sichtlich der Ergebnisse der konstituierenden Sitzung des neuen Stadtrates am 21.08.2019 erste Auswirkungen. Die Frage, ob und inwieweit sich die konservativen von den reaktionär-faschistischen Fraktionen des neuen Stadtrates abgrenzen, stellt sich bereits seit der Wahl der kommunalen Ausschüsse vergangenen Mittwoch nicht mehr.

Das gemeinsame Abstimmverhalten von CDU, FDP, AFD und Pro Chemnitz zeigt, dass dies-bezüglich keinerlei Berührungsängste bestehen und beschert der Stadt unter anderem einen Jugendhilfeausschuss, aus dem nahezu alle Akteur*innen einer progressiv-demokratischen und alternativen Jugendhilfelandschaft ausgeschlossen wurden.

Von den sechs Vertreter*innen der freien Träger der Jugendhilfe im Ausschuss, kommen drei aus kirchlichen Einrichtungen, zwei sind Mitarbeiter*innen des Solaris-Förderzentrums für Jugend und Umwelt gGmbH Sachsen und ein weiteres Mitglied mit FDP-Parteibuch aus einem Projekt ebenfalls in kirchlicher Trägerschaft. Von einer Pluralität als Abbild der kommunalen Trägerlandschaft kann insofern keine Rede mehr sein. Repräsentierte der ehemalige Ausschuss zumindest noch 51% der Träger und 67 % der Jugendhilfeprojekte in der Stadt, sinken diese Quoten auf 7% der Träger und 13 % der Projekte für das neue Gremium[1].

Hier von einer „umfassenden Abbildung“ der Vielfalt der Kinder- und Jugendarbeit in Chemnitz, und einer „adäquaten Vertretung“ der freien Jugendhilfe in der Stadt zu sprechen, wie es das Solaris Förderzentrum in seiner Stellungnahme vom 26.08.2019[2] formuliert, erachten wir als unreflektiert und unsolidarisch. Unter dieser Perspektive unverständlich ist ebenso der Vorwurf, dass kritische Stimmen aus der Jugendhilfelandschaft und Zivilgesellschaft, ,,[…] die demokratisch gewählten Ausschussmitglieder und ihre Arbeit diskreditier[en] […]“ (2) wollen. Hinzu kommt die Tatsache, dass der kaufmännische Leiter des Solaris-Förderzentrums der Stadtratsfraktion der CDU angehört, trotz Bedenken anderer Abgeordneter zunächst keine persönliche Befangenheit bei der Abstimmung sah und Presseberichten zufolge auch aktiv Absprachen mit Vertretern der AFD während der Sitzung traf[3].

Neben der mangelnden Transparenz der Entscheidungsfindung sowohl hinsichtlich der Beschlussvorlagen durch die nachträglich eingereichten Kandidat*innenvorschläge als auch in Hinblick auf den Abstimmungsverlauf, sollten auch die mögliche Konsequenzen dieser Konstellation für die Kinder- und Jugendarbeit in der Stadt thematisiert werden. Zu befürchten sind Kürzungen bzw. Streichungen von Fördermitteln für Träger jenseits des im Ausschuss vertretenen rechts-konservativen Spektrums.
Weiter gedacht führt dies zu einer Unterbindung weltoffener, alternativer und vor allem antifaschistischer Frei- und Gestaltungsräume für junge Menschen. Diese Entwicklung befördert das schlechte Image der Stadt, macht Chemnitz besonders für junge Menschen, die sich für Weltoffenheit und Toleranz engagieren, unattraktiv und setzt ein negatives Signal, das die gesamte Region über viele Jahre prägen wird.

Die u.a. durch die Liga der Freien Wohlfahrtspflege vorgeschlagene Einrichtung eines gemeinsamen beratenden Sitzes im Jugendhilfeausschuss zur „Entschärfung“ der Situation, erachten wir als unzureichend.

Wir unterstützen ausdrücklich die Initiative des Netzwerks für Kultur- und Jugendarbeit e.V., welches eine Neuwahl der Trägervertreter*innen in den Jugendhilfeausschuss fordert sowie den Aufruf der Fraktionsgemeinschaft DIE LINKE/DIE PARTEI an die Oberbürgermeisterin, gegen den Beschluss des Stadtrates betreffend die Wahl des Jugendhilfeausschuss gemäß § 52 Abs. 2 SächsGemO Widerspruch einzulegen.

Abgesehen von den direkten Auswirkungen auf die Stadt, verdeutlicht die aktuelle Entwicklung vor allem auch in Hinblick auf die Landtagswahlen am kommenden Sonntag, dass eine „strategische“ Wahl der konservativen Parteien um einen Wahlsieg der AFD in Sachsen zu verhindern, keine Option darstellt. Vollmundige Versprechungen, keinesfalls mit Rechtspopulist*innen zu kooperieren werden sich voraussichtlich - wie in Chemnitz so auch auf Landesebene - aus Gründen der Zweckmäßigkeit, aber auch in Hinblick auf teilweise ähnliche Einstellungen und politische Ziele, schnell in Luft auflösen.

Insofern rufen wir dazu auf, am 01.09.2019 Haltung zu zeigen, mit Bedacht zu wählen, ein Zeichen zu setzen gegen Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz und für eine offene, inklusive und solidarische Gesellschaft – auch in Sachsen.

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[1] Kämpf, S. (23.8.19), https://www.facebook.com/stephan.streetworker,zuletzt abgerufen am 28.08.2019

[2] Pressemitteilung solaris Förderzentrum für Jugend und Umwelt gGmbH Sachsen, Stand: 26.08.2019 

[3] https://www.freiepresse.de/chemnitz/ausschuss-wahl- wird-zum-politikum-artikel10598827, zuletzt abgerufen am 29.08.2019

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